Tools

Der Gebrauch von Tools /Werkzeugen ist ein Zeichen höherer Intelligenz, zumindest bei Tieren. Ob es bei den Menschen auch so ist?

Vor über zwanzig Jahren rettete ich ein altes Steinhaus vor dem Verfall. Es steht auf einer kleinen Insel in der Adria. Auf dieser Insel leben nur noch 80 Menschen. Als ich im Jahr 2001 her kam waren es noch 200.

So eine Insel ist eine übersichtliche, kleine Welt. Die Bewohner sind alt. Das kommt daher, dass die meisten hier Rentner sind, Menschen, die Jugoslawien den Rücken kehrten um in Amerika Geld zu verdienen, das sie nach Hause schickten. Sie arbeiteten hart und dachten dabei immer daran, im Alter wieder auf ihre Insel zurück zu kommen. Für die Show und zum  Chillen jedoch ist das alte Insel-Haus der Eltern und Großeltern nicht geeignet. Es hat kleine Fenster, kein Badezimmer und womöglich noch einen Lehmboden im Flur. Dieses Haus muss modernisiert werden und dem amerikanischen Standard angepasst.

Ich denke an den österreichischen Maler Friedensreich Hundertwasser, dem die geraden Linien die „Grausbirnen“ wachsen ließ. Für alle die nicht Österreichisch sprechen: Grausbirnen sind das manifest gewordene Grauen im Kopf. Er schrieb: Einst war das Lineal das Werkzeug der Könige, nun trägt es jeder Depp in seiner Hosentasche. 

Geprägt von Hundertwassers krummen Linien und fehlenden rechten Winkeln, engagierte ich zwei bosnische Waldschrate: Stipe und Pipo. Sie sollten mein altersschwaches Haus so restaurieren, dass es den Charme des Verfalls behielt ohne zu verfallen. Im Garten wollte ich nur Pflanzen setzen, die es überall in der Inselnatur gibt: Lorbeer, Sommerflieder, Feigenbäume und Wildrosenhecken.  

Für Installationsarbeitern nahm ich eine professionelle Firma. Für das Flicken alter Mauern, für das Ausgraben der Pflanzen in der Natur und das Suchen antiker Steinreste  waren Stipe und Pipo zuständig.

Die Beiden waren kurz nach dem Balkankrieg auf der Adia-Insel gelandet. Verwandte waren schon vor dem Krieg aus einem kroatischen Dorf im serbischen Teil Bosniens geflüchtet. In Bosnien hatten sie von einer kleinen Landwirtschaft gelebt und im Wald gearbeitet.  Alles hatten sie selber gemacht, sogar die Zähne haben sie sich selber gezogen. Aber nicht nur die Zahnlücken machten sie auf der Insel zu Menschen zweiter Klasse.

Einen der  heimgekehrten Amerikaner sah ich gern.  Er kam ihm gleichen Jahr wie ich auf die Insel. Er, um seinen Lebensabend hier zu genießen, ich, um mehr als ein einziges altes Haus  vor der drohenden Modernisierung zu retten.  Und während ich mit Stipe und Pipo am musealen Erhalt alter Bausubstanz feilte, machte der Amerikaner aus krumm und alt gerade und neu. Aus Amerika brachte er gleich drei Container voller „Tools“ mit: stapelbare Kübel in allen Größen, Bohrer die wie Maschinengewehre aussahen, Gasgriller, geeignet für die Verpflegung einer Kompanie, Tiefkühlgeräte für das Einfrieren von 20 Kilo schweren Zahnbrassen, die er zu Fangen gedachte. Ich sah bei ihm den ersten Laubbläser meines Lebens und erfuhr, was Amerika ausmacht: bigger is better.  Alles war überdimensional und passte nicht durch die Eingangstür. Er schnitt den Türstock heraus und ersetzte die Tür durch ein Rolltor.

Manchmal inspizierte er den Baufortschritt bei mir. Dieser war nicht unbedingt sichtbar. Stipe arbeitete mit Hammer und Sichel. Pipo mit Spaten und Schaufel. Es ging langsam voran. Die Schaufel war ziemlich verbogen. Er hatte sie aus Bosnien auf die Insel mitgebracht. 

Der Amerikaner schüttelte den Kopf. „Ihr hab keine Tools hier“ sagte er. „Der Mensch braucht doch Tools. Werkzeuge. Für alles einen verlängerten Arm.“ 

Das verlängerte Gehirn, die KI im Hausbau, die alles perfekt und eintönig macht, erlebte er nicht mehr. In seinem mit Technik voll geräumtem Haus war er selten. Meist sass er unter einem Baum, rauchte und blickte glücklich hinaus aufs Meer. Dann starb er.

Mein Haus wurde fertig und ergraut jetzt mit Würde. Und noch heute halte ich es für das schönste Haus auf der Insel. Vorbildwirkung hat es nicht. Sie wollen, dass ihre alten Häuser wie neue aussehen. 

Stipe und Pipo kauften einen Bagger und eine Betonmischmaschine. Aus Bosnien holten sie die Arbeiter nach Bedarf. Die Bauarbeiter wanderten in den Tourismus ab. Heute bauen Stipe und Pipo wieder selber, sie stellen Häuser aus Fertigteilmodulen zusammen. Eins nach dem anderen die ganze dalmatinische Küste entlang. 

Ob er sich im Grab umdrehen würde, der Friedensreich Hundertwasser? In der Tasche eines jeden Deppen steckt heute kein Lineal mehr, sondern ein Tool, ein Zauber-Ding mit dem man alles von überall her bestellen kann, auch Häuser auf die kleinsten Inseln. Auf denen es bald so aussehen wird wie überall auf der Welt, wo sich Menschen Häuser bauen.

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